"Der Mann der die Grenzen des Lebens fast erreicht hat, blickt nicht nach vorne, sondern zurück“

(Petöfi)

 

 

Mein Name ist Károly Botond und ich bin 1940 in Budapest geboren. Seit meinem 15. Lebensjahr, das heißt seit sechzig Jahren lerne ich die Bildende Kunst. Die fürsorgliche Pflege meiner Eltern hat mich auf diesen Weg geführt. Meine Lehrer waren : József Baráth, László Miskolczi, Jenő Benedek, János, Kmetty, György Kádár, Nándor Kapos und Jenő Barcsay. Einen Meister hatte ich nicht. Das ist auch gut so, denn dadurch konnte ich zumindest meine Unabhängigkeit bewahren und bin niemandem etwas schuldig.

Am Ende meines sechsten Studienjahres hatte ich mein Künstlerdiplom und spazierte leichten Herzens durch das Tor der Akademie. Außer der schönen Erinnerungen gab es nichts was mich dort hielt.

Ich hatte Studienkollegen die sich wie beim Heer auf Lebenszeit verpflichten ließen.Wenn ich daran denke, dass ich mein Leben lang durch ein und dasselbe Tor ein und aus gegangen wäre, gebe es mich heute nicht mehr, denn ich hätte mich schon längst aufgehangen.

In den folgenden 10 Jahren habe ich als Wandbildrestaurator an verschiedenen Orten in ganz Ungarn gearbeitet und von vielen Altmeistern viel gelernt. Da das Wandbildrestaurieren Saisonarbeit ist, blieb mir in den Wintermonaten Zeit für die Malerei übrig. Ich habe gemalt wozu ich Lust hatte. An eine Ausstellung wagte ich noch nicht einmal zu denken. Ich wurde auch von damaligen Oberlektor, Gyula Konfár im Atelier besucht der mich fragte welches Ziel ich mit meinen Werken verfolge. Da es keine abstrakten Bilder waren, ganz im Gegenteil, sie waren sogar unmissverständlich, wären sie von keiner Jury durchgelassen worden.

Es gab jedoch einen Ort ohne offizielle Jury. Zur vierten und gleichzeitig letzten Sommerausstellung 1973 in Balatonboglár bekam auch ich eine Einladung. Im Frühjahr vor der Ausstellung besuchte mich Herr Galántai in Budapest und suchte sich drei Bilder aus. Er sagte mir, dass er am liebsten alle meine Werke ausstellen würde.

 

Als wir am Tag der Eröffnung in Boglár ankamen mussten wir enttäuscht feststellen, dass von den drei Bildern nur ein einziges ausgestellt war, die provokativeren nicht. Auch ohne Jury schien die Selbstzensur lückenlos zu funktionieren. Trotz alledem wurde die Sommerausstellung früher als erwartet ein für allemal geschlossen.

So stand ich mit Ungarn beim Erreichen des Erwachsenen alters. Meine Künstlerambitionen wollte und konnte ich nicht aufgeben und darum entschloss ich mich mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ich wollte es nicht akzeptieren, dass mir andere sagen wohin ich gehen bzw. tun und lassen soll. Zusammen mit meiner jungen und schönen Frau entschlossen wir uns diese „Gartenwirtschaft“ zu verlassen und nicht aus „Abenteuerlust zu Hause zu bleiben".

1976 hat man mich für drei Aufträge ausgewählt. In diesem Fall hat man den Arbeitsvertrag unterschrieben und den Vorschuss aufgenommen. Wenn man das Geld annimmt, hat man Schulden beim Staat. Wenn ich Schulden mache, könnte mir das später zum Verhängnis werden. Aus diesem Grund habe ich alle drei Aufträge abgelehnt und wir beantragten statt dessen unsere Reisepässe. Bis heute wundere ich mich, das Niemandem ein Dorn im Auge gewesen ist.

Meine Frau und ich bereiteten uns still und heimlich auf die „große Reise“ vor. Wir waren voller Angst, weshalb nicht einmal der engste Familienkreis von unseren Plänen wusste. Wir hatten nur das vor, was heute jedem ungarischen Staatsbürger gestattet ist, sich in ein Fahrzeug zu setzen und in jede Himmelsrichtung aufzubrechen. In dieser Zeit hat der kommunistische Staat mit seinen dummen Gesetzen, seinen Bürgern die Flucht förmlich angeboten. Wer innerhalb von dreißig Tagen nicht zurückkehrt, den erwartet Strafe, wen Strafe erwartet der kehrt nicht zurück. Wer in sein Heimatland nicht zurückkehren kann hat ein Recht auf Asyl.

Auch wir nutzten diese Möglichkeit aus. Ende Oktober 1977 verließen wir Ungarn und meldeten uns in München bei der zuständigen Behörde. Innerhalb einer Woche hatten wir einen Fremdenpass, (galt für alle Länder dieser Welt, außer Ungarn) unbefristetes Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis. Bald darauf wurde unser Recht auf Asyl anerkannt, welches vom kommunistischen Staat tatkräftig unterstützt wurde, indem man uns während unserer Abwesenheit zu Gefängnisstrafen verurteilt hatte. Nun hatten wir unsere herbeigesehnte Freiheit, jetzt galt es nur noch damit umzugehen.

Wir begonnen uns an die neuen Umstände zu gewöhnen. Wir versuchten zu vergessen wer wir waren, jetzt wollten wir nur noch zeigen, wer wir sind.

Bald fand ich auch die Münchener Künstlergenossenschaft in der sich meine berühmten ungarischen Künstlerkollegen : Munkácsy, Benczúr, Bihari, Szinyei, Ferenczi, Csók István und Thorma János vor 80-100 Jahren einen Namen machten. Die Genossenschaft genießt seit 1868 bayerische, königliche Vorrechte, die sie sich trotz der chaotischen letzten 150 Jahre deutscher Geschichte nach wie vor erhalten hat. Jedes Jahr hat die Genossenschaft die Möglichkeit im prestigeträchtigsten Haus der Kunst eine Frühjahrsausstellung zu veranstalten ohne dafür Kosten tragen zu müssen.

Die Vorsehung kam mir wieder zur Hilfe: im Vorstand war jemand der ungarisch konnte und mich in allen Belangen unterstützte. Er kam mit seiner Frau zu uns nach Hause und suchte sich vier Bilder aus, welche ich ihm am vereinbartem Tag vorbeibrachte. Die Jury akzeptierte alle vier Werke und mein „Stillleben mit Fischen“ wurde sogar im offiziellen Katalog aufgeführt.

Ein paar Tage vor der Eröffnung bekam ich den Katalog in meine Hände; aus dem ich erfuhr, dass die Frühjahrsausstellung des Jahres 1980 keine gewöhnliche Ausstelllung ist. Schirmherr der Ausstellung war der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München und die Mitglieder des Ehrenkomitees waren die Botschafter Frankreichs, Österreichs, Spaniens, der Sowjetunion und Italiens.

Auf der Vorderseite des Katalogs war ein Grußwort des Bundestagspräsidenten. Er bot den anwesenden Künstlern, dem Publikum und den Veranstaltern der Ausstellung seine volle Unterstützung an. Aus dem Brief erfuhren wir, dass diese große internationale Ausstellung „kurz nach der ersten Direktanwahl zum europäischen Parlament, das Ziel hatte neben dem europäischen Zusammenschluss und der Sicherung einer friedlichen und freiheitlichen Zukunft auch die kulturelle Entwicklung in Europa zu fördern. Die Kunst ermöglicht es durch ihre Eigenständigkeit und kulturelle Vielfalt den europäischen Nachbarvölkern ihr kulturelles Erbe einander nahezubringen „ Unter dem Protektorat des Einverständnisses zwischen den Völkern und einer besseren Zusammenarbeit hat man auch vierundzwanzig sowjetische Künstler eingeladen, mit fünfundsechzig Bildern. Viel zu viele von ihnen, so wie „immer mit den Russen !“ Zumindest besänftigte mich das einige von Ihnen, von der westlichen Seite Europas kamen.

Frankreich wurde von Bildhauer Paul Belmodo dem Vater des Schauspielers, Marc Chagall, Pierre Tremois, Leonor Fini vertreten, England von Henry Moore, Spanien von Salvador Dali und Österreich von Ernst Fuchs. Unter anderen waren auch noch Bildhauer Gerhard Marcks aus Köln und Arno Brecker der abwechselnd in Düsseldorf und in Paris lebte anwesend.

1980 lebten und prosperierten sie noch alle. Mit all diesen weltberühmten Künstlern auszustellen und in einem Katalog aufgeführt zu werden, nicht einer meiner ungarischen Zeitgenossen konnte dies von sich behaupten.

Ich war Lichtjahre entfernt vom Künstlerfond, dem staatlichen Lektorat, dem Aufsichtsrat für Denkmalpflege und anderen Instituten die mir mein Leben in Ungarn verdarben.

Vor der offiziellen Eröffnung empfing man die Mitarbeiter der Presse, des Fernsehens und des Hörfunks. Es wurde bekannt gegeben, dass an diesem Tag auch der Bundespräsident, Walter Scheel einen Besuch abstatten wird. Zugegeben war seine offizielle fünfjährige Amtszeit geradeeben im vorangegangenem Jahr zu Ende gegangen. Er kam mit einer großen Horde im Schlepptau. Neben Journalisten und Fotografen hetzte der Vorstand der Künstlergenossenschaft hinter ihm her. Als sie bei meinen Bilder ankamen, stellte mich ihm mein Gönner als das einzige ungarische Mitglied der Genossenschaft vor. Wir reichten uns die Hand, und er bat mich um meinen Katalog. Ich dachte, dass er das ein oder andere lobende Wort über meine Bilder mit seinem goldenen Füller hineinschreiben würde, stattdessen hinterließ er nur seine Unterschrift wie wenn er der Künstler und ich der Bundespräsident wäre. Im Blitzlichtgewitter fotografierte auch meine Gattin fleißig für die Nachwelt. Als sich der deutsche Bundespräsident langsam entfernte, bemerkte mein Gönner auf ungarisch "Er ist ein Scheißkerl“.

Walter Scheel, einer der prominenten Persönlichkeiten der freien DemokratenDeutschland.

Die Ausstellung endete nach zwei Monaten. Alle vier Bilder wurden verkauft. Eins während und drei nach der Ausstellung. Weit über den finanziellen Erfolg hinaus, war für mich die durch meine Arbeit gewonnene Anerkennung und die daraus resultierenden Freundschaften von größerer Bedeutung. Während andere drei Jahre warten mussten, wurde ich schon unüblich bereits nach kurzer Zeit in die Genossenschaft aufgenommen.

Noch in diesem Sommer bekam ich eine Einberufung in eine Künstlerkolonie auf Schloss Neuburg bei Passau. Einen Monat verbrachten wir dort mit meiner Frau und meinem kleinen Sohn. Sämtliche Kosten hat der Künstlerunterstützungsverein bezahlt. Mit den dort gemalten Bildern und meinen Münchener Werken arrangierte ich eine Ausstellung mit dem Titel „Herbstausstellung“.

Sieben Bilder wurden verkauft und eines wurde bestellt. Zweimal wurden vorab insgesamt Tausend DM Schnellhilfe aus der Kasse des Künstlerunterstützungsvereines überwiesen. Das Leben in München war
Nach den Feiertagen bereiteten wir uns schon wieder auf die nächste Frühjahrsausstellung vor. Man beauftragte mich mit der Erstellung des neuen Plakates. Ich erhielt als Muster eine alte Grafik, die ich in eine farbige Ausführung umarbeiten sollte. Mein Plakat war während der Ausstellung in der ganzen Stadt zu sehen. Am Tag der Jury sollte ich kommen um beim ordnen und platzieren der Bilder mitzuhelfen. Ich genoss auch seitens der Jury vollstes Vertrauen, um es mit einem Wort auszudrücken: ich galt schon als Insider. Mein Gönner stellte mir sogar in Aussicht in absehbarer Zeit selbst in die Jury berufen zu werden. Meine Bilder kamen in den ersten Saal, rechts vom Haupteingang auf einen der besten Plätze. Am Tag der Eröffnung gratulierten mir Abends meine Kollegen am Haupteingang: Anlass dafür war, dass ein Generalkonsul ein Bild von mir kaufte, wohlbemerkt eine halbe Stunde vor der offiziellen Eröffnung ! "Sauber, sog i".

Der Bayerische Rundfunk und das Fernsehen fertigten einen Report über mich, welcher noch am gleichen Abend in der Rundschau gezeigt wurde. Minutenlang würdigte man meine Bilder, insbesondere fand das „Abendmahl von Emmaus“ ihren gefallen.

 

Sie verglichen es mit den Bildern von Caravaggio, was kein Zufall war, denn diese dienten mir als Muster. Die neutestamentarische Szene setzte ich in eine ungarische Umgebung und malte meine eigene Familie mit mir selbst inbegriffen.

Unsere Angelegenheiten entwickelten sich optimal. Wir hatten das Gefühl, dass meine Malerkarriere wie auf Schienen verlief. Es gab allerdings gewisse Sachen die unseren Enthusiasmus ein wenig abkühlten. Mein Gönner erzählte mir, dass jemand, auch ein anderes Bild von mir kaufen wollte, und weil ich ja schon ein Bild verkauft hatte, er ihn an einen anderen Künstler vorwies, damit dieser alte Maler nicht die Lust an seiner Arbeit verliert, wenn dieser keine Bilder mehr verkauft. Bis jetzt hatte ich so etwas noch nie gehört ! Daraus habe ich verstanden, dass es nichts bringt jedes Jahr fünf Bilder auszustellen, wenn ich davon nur eines verkaufen darf. Davon kann man allerdings kein ganzes Jahr leben.

Ich verkaufte Bilder von der Wohnung aus, wodurch sich der Kaufkreis jedoch auf Bekannte beschränkte. Eine Ausstellung ist was ganz anderes.

Bis zum Sommer erschöpften sich alle unsere Reserven und meine Frau trug unseren zweiten Sohn unter Ihrem Herzen. Aus diesem Grund war ich auf der Suche nach einer geregelten Arbeit um aus einem Monatslohn unseren Lebensunterhalt zu gewährleisten.

Wer aufgrund dieser Umstände nun seinen Mund verzieht, der hat keine Ahnung was „überleben“ bedeutet. Wenn jemand keine reichen Verwandten, beispielsweise in Amerika hat – auch solche sind mir bekannt – wer auf dem Weg in den Westen kam wie wir, der griff nach jeder sich bietenden Arbeitsmöglichkeit. Allein aus meiner Klasse landeten drei Mitschüler in München. Eine Mitschülerin arbeitete jahrelang als Fachzeichnerin, ihr Mann als Fahrer bei Siemens und ein Dritter als Fensterputzer bei einer Reinigungsfirma. Arbeit ist keine Schande, nur das Nichtstun. Ich musste eine Familie ernähren und aus dem Wasserhahn kam kein Honig.

Ich fand eine Stelle als Dekorateur in einen Supermarkt. Zumindest stand dies in der Stellenbeschreibung. In Wirklichkeit war ich Plakatstempler und musste den ganzen Tag Artikelnamen mit den dazugehörigen Preisen auf Karton drücken. In Ungarn lief das zu jener Zeit so, dass die Schaufenster zweimal im Jahr umgestaltet wurden und dementsprechend auch die Preise nur zweimal im Jahr ausgedruckt wurden : einmal im Winter und einmal im Sommer. In diesem Kaufhaus mussten die Preise sogar öfter am Tag geändert werden : wenn die Sonne sich blicken ließ stieg der Preis der Badeartikel und der Möbel, wenn der Himmel sich zuzog oder es zum regnen begann, sank auch der Preis. Wer schon mal in München war, weiß wie launisch hier das Wetter sein kann. Der Abteilungsleiter kam alle fünf Minuten mit neuen Wünschen, so dass es während der Arbeitszeit keine Entspannung gab.

Der Mensch macht viel Blödsinn im Leben. Großen Blödsinn eher weniger. Wenn zwischen den Ehepartnern Einigkeit herrscht begeht man den Blödsinn gemeinsam. Wir begingen den größten Blödsinn unseres Lebens: wir zogen nach Passau. Ich will nicht ins Detail gehen, nur soviel dazu sagen, dass wir kaum dort angekommen es schon wieder bereut hatten. Schon am darauffolgenden Wochenende zogen wir wieder in unsere münchner Wohnung ein, aus der wir kurz davor ausgezogen waren. In Deutschland sagt man, dass zwei Umzüge gleichzustellen sind mit einem Wohnungsbrand, dass heißt der totale finanzielle Super-Gau. So standen wir also Ende September da : ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Einkommen. Glücklicherweise hatten wir Freunde, die um Ihre Hilfe anboten. Wir bekamen ein Darlehen, unsere Familie in Ungarn unterstützte uns und in einem münchener Reisebüro, wo schon in der Vergangenheit viele Bilder von mir verkauft wurden, veranstaltete ich eine Weihnachtsausstellung. Ich malte fünfundzwanzig kleine Bilder, dessen dazu passende Bilderrahmen auch neu waren.

Mein Gönner aus der Genossenschaft erkundigte sich nach der Ausstellung, besuchte sie, rief mich auf dem Telefon an und sagte mir er wolle sich die Bilder anschauen, die ich für die Frühjahrsausstellung gemalt hatte. Ich sagte ihm, sie seien noch nicht fertig und ich würde ihm Bescheid geben wenn es soweit wäre.

Bald darauf rief er mich erneut an und sagte mir, sie würden wegen den Bildern bei mir vorbeikommen. Ich sagte ihm, ich hätte noch mehr als einen Monat Zeit und würde die Bilder rechtzeitig vorbei bringen. Ich wusste, dass es nicht die Bilder sind, die ihm so wichtig waren, nein, er wollte mich festnageln! Ich erinnerte mich daran, dass er mir bei meiner Aufnahme in die Genossenschaft sagte, ich dürfe Nirgendwo ausstellen nur bei ihnen und auch nur die fünf Bilder die ich für sie male.

Wie Bitte ? Ich dachte ich wäre im falschen Film ! Wie kann man einem Maler vorschreiben,, wie viele Bilder er im Jahr zu malen hatte?

Ich hätte auch fertige Bilder gehabt, wollte aber aus Prestigegründen die neuen Bilder abgeben. Ich wollte gute Bilder malen um sie auch verkaufen zu können, wenigstens eins, weil wir das Geld ganz dringend brauchten.

Ab ersten Dezember hatte ich schon wieder einen neuen Arbeitsplatz in einer Agfa-Fabrik. Tagsüber war ich Fabrikarbeiter, Abends und am Wochenende malte ich.

Ich lieferte die Bilder am ausgemachten Tag, rechtzeitig ab. Am nächsten Vormittag fand der Jury statt diesmal ohne mich. Mein Gönner rief mich am Nachmittag an, er wusste, dass ich zu dieser Zeit noch nicht Zuhause sein kann.“Ich habe eine schlechte Nachricht, die Bilder wurden von der Jury ausgemustert und entsprechen ihren Anforderungen nicht. Sämtliche Mitglieder der Jury haben die Sichtweise, dass die Bilder für diese Ausstellung unpassend sind. Selbst die Bilderrahmen sind nicht akzeptabel".

Meine Frau bemerkte, dass die Bilder ihrer Meinung nach nicht schlecht sind und die Bilderrahmen bei „ Onkel Artur“ gekauft wurden. Darauf hin begann er zu brüllen, "sie würde davon nichts verstehen, solche Wolken gebe es nicht, und die Möwen kämen auch nicht auf den Acker" und ähnliches. Um den guten Willen der Jury zu sehen und um nicht von der  diesjährigen Ausstellung ausgeschlossen zu werden würden sie sich gerne das Bild „Stillleben mit Strohhut"; ausleihen, welches ich schon vor längerer Zeit dem Bildhauer Kurt Moser verkauft hatte.

 

Wenn ich nach Hause komme, soll ich bei ihnen vorbeikommen um mit ihnen zu besprechen, wie die Dinge in Zukunft laufen sollen. Als ich daheim ankam, erzählte mir meine Frau alles. Dem Anschein nach gibt es eine strenge Jury, so streng, dass sie nicht ein einziges Bild von mir akzeptiert hat, gleichzeitig wird ein Bild von mir angenommen, welches nicht ein einziges Jurymitglied gesehen hat, nur auf Empfehlung meines Gönners.

„Onkel Artur“ hat sich dummerweise selbst verraten. Das hatte nichts mit der Jury zu tun, das war einzig und allein sein Werk. Er wollte mir zeigen, welche Macht er innerhalb der Genossenschaft besitzt und, dass ich in Zukunft nur nach seiner Pfeife zu Tanzen hatte.

Zusammen mit seiner Gattin, die sein schlechtes Gewissen war, mischten sie sich Schritt und Tritt auch in unser Privatleben ein.

Ungerechtigkeit ertrage ich nur schwer, aber Hinterhältigkeit kann ich überhaupt nicht ausstehen. Was sie mit uns hier veranstalteten zeugte von einer grenzenlosen Unbarmherzigkeit. Sie sahen eine Familie mit zwei kleinen Kindern , in schwerer finanzieller Lage die auf jeden Pfennig angewiesen war, und sie verschlossen uns alle Möglichkeiten um durch die Ausstellungen an Geld zu kommen. Das Leihbild wiederum hatte ich schon einmal verkauft.

Was die Nachmittagsbesprechung betraf, fackelte ich nicht lange. Mit solchen hinterhältigen Menschen wollte ich nichts mehr zu tun haben, was auch meine Frau genauso sah.

Ich schrieb einen kurzen Brief, dass ich mit der Entscheidung der Jury nicht einverstanden bin, ihre Objektivität bezweifle und in Zukunft an den Ausstellungen der Genossenschaft nicht mehr teilnehmen werde. In den Umschlag legte ich neben dem Brief meinen Mitglieder-Ausweis und drei Eintrittskarten für die kommende Frühjahrsausstellung. Den Umschlag ließ ich offen und übergab ihn persönlich im Büro der Sekretärin, die den Brief mit hämischem Grinsen auf dem Gesicht allen präsentierte. So etwas gab es in der hundertjährigen Geschichte der Genossenschaft noch nicht. So also wurde die Kürze und heftige Beziehung zwischen der seit 1868 königlich bayerischen Künstlergenossenschaft und Botond Károly keine dauerhafte Ehe.

Das Schicksal sollte jedoch wieder einmal auf unserer Seite sein. Meine Gattin fand auf Empfehlung eines Freundes eine gutbezahlte Arbeitsstelle mit Sitz in München. Von einem anderen Freund erfuhren wir, dass die Bayerische Staatsoper Theatermaler sucht. Ich meldete mich, bin zur Probearbeit erscheinen und bekam die Stelle.

Die Bayerische Staatsoper wird auch Nationaltheater genannt. In den vergangenen anderthalb Jahrhunderten wurden unzählige Uraufführungen weltberühmter Komponisten abgehalten. Dirigenten und Komponisten hielten sich hier mal längere mal kürzere Zeit auf. Noch heute geben sich auf den Operfestivalen die Weltstars gegenseitig die Klinge in die Hand. Als technischer Mitarbeiter durfte auch ich diesen Ereignissen beiwohnen.

Die Theatermalerei ist eine besondere Fachrichtung. Ich könnte auch sagen „Megamalerei“. Nicht selten musste man 100 Quadratmeter Rohgewebe grundieren und sie anschließend bemalen. Man malt im Stehen, bewegt sich auf der Leinwand und nennt die langstieligen Pinsel Bürsten, die in Eimer statt in Paletten getunkt werden. Das fertige Bühnenbild bekommt man meistens erst am Tag der Generalprobe zu Gesicht.

Mit unseren noblen Arbeitsstellen machten wir gesellschaftlich einen großen Schritt nach vorne. Wir zogen in eine der eleganteren Gegenden Münchens zwischen den Englischen Garten und die Isar. Das Eckzimmer der Vierzimmerwohnung konnte ich als Atelier nutzen. Zum größten teil endete nach sieben Jahren unsere „Durststrecke“. In den Schulferien reisten wir in den Sommer ans Meer. Einmal wurde bei uns eingebrochen während wir in Italien weilten. Ein Haus dieser Sorte zieht die Verbrecher nur so an. Meine Gattin fand eine andere Wohnung, gegenüber dem Kindergarten, bzw. der Schule die von unseren Kindern besucht wurde. Seit dreißig Jahren nun ist das unser Zuhause.

1985 wurde ich in den Berufsverband Bildender Künstler, in München und Oberbayern aufgenommen, wo ich noch heute Mitglied bin. Im Allgemeinen bin ich loyal zu Personen, Orten und Institutionen solange sie mich nicht „bescheißen“. Ich habe das Gefühl, dass auch ich mir selbst treu geblieben bin.

Die angenehme Zeit im Theater dauerte leider nur ein Jahr. Der Malersaal und die Werkstätten wurden von München aufs Land versetzt. Von da an musste ich täglich fünfzig Kilometer mit dem Auto hin- und zurück fahren. Nun war es eine „Kulissenfabrik“. Ein Theater sahen wir nur noch einmal im Monat, wenn wir Abends Bühnendienst hatten und vor die Vorführung noch lief. Nach vier Jahren kamen wir zu dem Entschluss, dass diese Arbeit nichts für mich ist. Sie war sehr hart, ungesund und für die Malerei und die Familie blieb auch keine Zeit üblich. So wurde ich wieder ein freiberuflicher, selbstständiger Maler. Der Gehalt meiner Frau sicherte unsere Lebensgrundlage.

Schon früher hatte ich Aufträge, nun konnte ich mit voller Kraft die neuen Aufgaben anpacken. Was ich im Theater gelernt habe, kam mir sehr entgegen beim dekorieren eines Marktpavillons, eines privaten Schwimmbades, eines Treppenhauses, Kaffeehauses, oder einer Wohnung. Ich nahm jeden Auftrag an, vom Bildchen in Postkartengröße bis hin zu riesigen Flächen, die bemalt werden sollten. Ich nahm die Aufträge nicht nur an, ich führte die Wünsche auch aus. Parallel zur Malerei bekam ich auch Aufträge für Restaurierungen. Ich arbeitete für das Erzbischöfliche Ordinariat, für verschiedene Kirchgemeinden, Sammler und Privatpersonen gleichermaßen. Ich hatte auch Aufträge für Porträtmalerei, selbst Malerkollegen schickten mir ihre Auftraggeber vorbei, oder beauftragten mich Porträts zu malen.

Nicht lange nachdem wir in München ankamen, nahm ich ja schon an Gruppenausstellungen teil, oder veranstaltete selbst eigene mit meinen Werken. Diese möchte ich jetzt hier nicht aufzählen. Als das „Friedenslager“ (Ostblock) zu Ende ging und wir in Ungarn keine Gefängnisstrafe mehr zu befürchten hatten, nahm ich die Einladung des segediner Móra Ferenc Museums für die Veranstaltung einer eigenen Ausstellung an. Ich stellte in der Karwoche sakrale Werke von mir aus. Das war 1992. Die segediner Ausstellung entwickelte sich zur Wanderausstellung. Das Kristliche Museum in Esztergom, die Diözese Schatzkammer in Györ, das Burgmuseum in Simontornya und der Garnisonklub in Sárbogárd stellten ebenfalls die Werke aus.

Eine Ausstellung kostet sehr viel Kraft und Geld. Sie macht nur Sinn, wenn sie auch einen Nutzen hat, entweder finanzieller, oder moralischer Art. Die aufgebrachte Mühe muss in irgendeiner Weise Früchte tragen.. Niemand kann vorher sagen, ob eine Ausstellung erfolgreich sein wird, oder nicht. Es war nicht leicht für mich nach dem Haus der Kunst einen geeigneten Platz zu finden. Ich wollte nicht in einem Keller, Schuppen, oder im Durchgang des Landesvermessungsamtes ausstellen, nur damit auf der Dokumentationsliste ein paar Daten mehr über mich aufgeführt werden.

Einem der angesehensten Galeristen Münchens brachte ich einige meiner Kollagen mit. Er sagte, dass meine Art der Kunst mit Hochseilakrobatik zu vergleichen wäre : perfekt und atemberaubend, er jedoch mehr die Clowns bevorzuge.

Ich wiederum werde nicht von der Kuppel in die Manege hinabsteigen und ihm zu Liebe einen Purzelbaum in die mit Pferdemist verschmierten Sägespäne schlagen – um bei dem Vergleich zu bleiben.

Anfangs lieferte ich meine Bilder zusammen mit anderen Malern auch in kleinere Städte auf dem Lande. Ich wurde von der Jury ausgemustert, erhielt mein eingezahltes Geld aber nicht wieder zurück. Aus diesem Geld druckten Sie ihre Plakate und Einladungen. Im darauffolgenden Jahr geschah das Gleiche.

„Bescheißt du mich einmal ist die Schande an dir, bescheißt du mich zweimal, ist die Schande an mir".. Oft reiste ich gar nicht erst los, wartete bis man mich einlud und gab ihnen manchmal dann einen Korb. Seit einiger Zeit stelle ich nur noch beim Verband aus, einmal im Jahr zu Weihnachten, um zu zeigen, dass ich noch am Leben bin. In Budapest jedoch würde ich gerne einmal ausstellen, wenn ich entsprechende Unterstützung bekäme.

 

Auszeichnungen und Preise besitze ich nicht. Die werden anderswo verteilt, an andere. Wie die Straßenbahn nach Karinthy, die immer auf der anderen Seite in entgegensetzte Richtung fährt. Das macht allerdings nichts , denn auf langfristige Sicht zählt nur die Qualität und nicht der Ruhm. Mit dem unterrichten verhielt es sich so, dass ich mit neunzehn Jahren anfing und mit zwanzig Jahren aufhörte. Das ist nichts für mich. Außerdem sagten schon die alten Griechen : "Wer etwas kann, der tut es und wer es nicht kann, der unterrichtet".

In die Jury wurde ich zweimal eingeladen. Ich schickte niemanden weg und schmiß niemanden raus. Ich hatte einfach nicht das Herz dazu. Man lud mich nie wieder ein.

Mein gutes Schicksal (ich bin nicht „schicksallos“) brachte zusammen, dass wir noch im vergangenen Jahrhundert, ganz genau 1999 ein Einfamilienhaus mit Garten am Balaton kauften. Seit dem hat sich unser Leben grundlegend verändert. Die magische Anziehungskraft des Balatons ist auch in München zu spüren. Wir, die unser ganzes Leben lang Stadtbewohner, besser gesagt Hauptstadtbewohner sind, konnten plötzlich am Geschmack des Landlebens kosten. Seit dem verbringen wir dort jede freie Zeit die wir haben.

Bald kamen auch die Katzen, immer mehr. Auch für München bleiben einige übrig. Wir leben im Bann der Katzen. „ Weil man ohne Katzen leben kann, es sich aber nicht lohnt“.

Ungefähr zur gleichen Zeit mit dem Haus und den Katzen gelangte ein Stück Holz zum schnitzen in meine Hände. Daraus schnitzte ich eine Katze. Ich stellte fest, dass in der Bildhauerei ähnliche Gesetzte gelten wie in der Malerei. So folgten die Statuen eine nach der anderen . Was schnitzte ich ? Nachte Frauen.

Ich liebe die Frauen, Mädchen und Damen. junge und alte, Jungfrauen und Großmütter. Sie verzaubern uns Männer, weil sie so anders sind. Sie haben eine andere Anatomie, einen anderen Duft, eine andere Stimme, bewegen sich anders, gehen anders, kleiden und entkleiden sich anders. Sie strahlen Wärme aus, können aus einer Wohnung ein Zuhause zaubern, ob mit einem Gegenstand, einem Bild, einem Blumentopf, einer warmen Decke oder dem Duft eines Abendmahles. Ich verehre die Frauen, weil sie Leben schenken, Kinder gebären, stillen, füttern, ihnen zu Trinken geben, sich mit ängstlicher Fürsorge um die Menschensprösslinge und die Familie kümmern. Ich bewundere ihre Energie, ihre Kreativität, ihren listigen Verstand. Ich wüsste nicht was mit uns ohne sie wäre.

Die schönen Frauen hinterließen ihre Spuren in der Geschichte und auch gelichermaßen in der Kunstgeschichte. Die weibliche Schönheit nicht zu bemerken zeugt von Blindheit, Indifferenz ja, sogar eher Krankheit. Es gab Künstler die angeblich schöne Ehefrauen hatten und trotzdem anstatt zu ihre Frau, lieber zur Cognacflasche griffen. In ihrer Kunst findet man nicht eine Spur der Anwesenheit einer schönen Ehefrau.

Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr hatte ich immer jemanden neben mir, seit meinem dreißigsten meine Frau die mich nun schon mein ganzes Leben lang begleitet.

Ohne sie wäre ich jemand ganz anderes.

Sie ist meine Liebe, meine Muse, meine Ehefrau, die Mutter meiner erwachsenen Söhne und mein sicherer Rückhalt, meine Stützte. Sie hat immer fleißig gearbeitet und in den schwierigsten Situationen immer eine Lösung gefunden. „ Ein Teufelsweib!“ Ich bin seit über vierzig Jahren mit ihr verheiratet und habe trotzdem das Gefühl, dass jeder Tag ohne sie für mich ein verlorener ist. Glücklicherweise kam das nicht oft vor.

Neben meiner Arbeit gibt mir meine Familie Erfüllung. Was ich erlebt habe, würde ich für nichts hergeben und mit Niemandem tauschen wollen. Der Mensch ist ein geselliges Lebewesen, es gibt nichts traurigeres als den einsamen Menschen, egal ob derjenige Frau oder Mann ist. Ob die Arbeit für alles entschädigt ? Das glaube ich nicht ! Man darf nicht Tag und Nacht ohne Ruhe und Schlaf arbeiten. Wer dies tat, hat nur halb so lange gelebt. Für die Kunst zu sterben lohnt sich wirklich nicht. Wem nützt das ?

Unsere Tätigkeiten sind sowieso kontraproduktiv und haben praktisch keinen Nutzen. Warum wir sie trotzdem machen? Ich weiß es auch nicht! Vielleicht, weil sie unentbehrlich sind. Für manche ist es die Liebe zum Schönen, die Suche nach Harmonie und das schätzen unserer Kenntnisse. Über die moderne Kunst möchte ich jetzt lieber nichts sagen. Da fällt mir eine Ausstellung ein die ich vor Jahren hier in München besucht habe. „Opus 1, 2, 3, Geste 1, 2, 3 ohne Titel 1,2,3, „ Die üblichen nichtssagenden Werke mit nichtssagenden Titeln. Auch das Publikum sind die üblichen Verdächtigen : Gruppen von jungen Leuten die sich mit Gläsern in der Händen und mit dem Rücken zu den Werken unterhielten. In einer der Gruppen entdeckte ich ein schlankes Bein in einen eleganten Schuh geschlüpft. Das zog die Augen magnetisch an. Ich dachte mir, dass ein solch wohlgeformtes Bein im Strumpf mehr Wert ist als alle hier ausgestellten Bilder zusammen, und zwei davon erst !

 

 

übersetzt von Christoph Botond

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